Inhalt
1 Kontext
1.1 Entstehungsgeschichte und Motivation
Vor Beginn des Projektes hatte Klima- und Nachhaltigkeitsbildung an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) eher randständig und vereinzelt in bestimmten Fachdisziplinen stattgefunden. Ein interdisziplinärer und handlungsorientierter Diskurs mit diesen Themen fand fast ausschließlich in einzelnen Hochschulgruppen, wie den Students for Future Mainz, statt. Die Mitglieder dieser Hochschulgruppen, die aus Studierenden vieler verschiedener Studiengänge bestand, machten durch ihre Projektarbeit viele Selbstwirksamkeitserfahrungen und erwarben dort neue Kompetenzen, die bisher in Ihrem Studium gefühlt zu kurz kamen. In verschiedenen Formaten entstanden Projekte wie die Public Climate School oder der Podcast „Schule neu denken“. Ausgehend von diesen neuen Erfahrungen schlossen sich einige Mitglieder der Students for Future mit dem Ziel zusammen, solches projektorientiertes Lernen in der Hochschullehre strukturell zu verankern. Sie überlegten sich dafür das innovative Lernformat Zukunftsmodul. Im nächsten Schritt konnten die Studierenden einige Dozierende sowie das Gutenberg-Lehrkolleg (GLK), das sich für innovative Lehre an der JGU einsetzt, von ihrem Projekt überzeugen. Das führte dazu, dass das Projekt vom GLK finanziell gefördert und einer der Studierenden als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Koordinator des Zukunftsmoduls fest angestellt wurde. Auch findet durch diesen Studierenden im Rahmen seiner Promotion eine wissenschaftliche Begleitung des Projektes statt.
1.2 Inhalt und Beitrag zu Nachhaltigkeit & Hochschule
Hochschulen stellen wichtige Wissensund Innovationslabore für eine sozialökologische Transformation dar. Doch wie sollte ein Lernangebot zum Erwerb von Handlungskompetenzen gestaltet sein? Das Projekt „Zukunftsmodul“ der Universität Mainz greift diese Frage auf und zielt darauf ab, neue Erkenntnisse zu entwickeln, wie sich eine Klimaund Nachhaltigkeitsbildung handlungsorientiert in die Hochschullehre erfolgreich einbinden lässt. Das Zukunftsmodul besteht dabei aus zwei Lernangeboten: die Vorlesungsreihe „Visions for Climate“, die Aspekte wie Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit thematisiert, und ein spezielles Projektseminar, in welchem Studierende interdisziplinäre Projekte gestalten. Bei „Visions for Climate – Eine Ringvorlesung über den Klimawandel“ handelt es sich um eine interdisziplinäre Vorlesungsreihe. Die einzelnen Veranstaltungen werden von Wissenschaftler: innen unterschiedlicher Fachgebiete gestaltet, die jeweils in ihrer Vorlesungssitzung ein anderes Nachhaltigkeitsziel der UN thematisieren und somit unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte setzen. Damit werden ganz verschiedene Gesichtspunkte der Aspekte Klimakrise, Klimagerechtigkeit und Nachhaltigkeit beleuchtet. Mit der Veranstaltung soll aufgezeigt werden, wie Vorlesungen aussehen können, die aktuelle Fragen und Herausforderungen aufgreifen und zur Ausbildung einer Selbstwirksamkeit bei den Teilnehmenden beitragen. Dabei ist geplant, statt primär negative Szenarien aufzuzeigen, sich gezielt mit positiven Zukunftsvisionen zu einer klimagerechten Welt sowie den dafür notwendigen Handlungsmaßnahmen auseinanderzusetzen. Es werden Ergebnisse und Diskurse aus der Forschung in den Mittelpunkt gestellt, die dazu beitragen, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Klimakrise in alle Fachbereiche der Universität und darüber hinaus in die Gesellschaft zu tragen.
An diese Vorlesung wird ein Projektseminar angebunden, um einen Übergang von der Wissensin die Handlungsebene zu initiieren. Das Lernangebot ist durch eine praktische, teamorientierte Projektarbeit gekennzeichnet. Studierende entwickeln und realisieren in Kleingruppen spezifische Projekte. Die Besonderheit stellt hier die Interdisziplinarität dar, wobei Studierende unterschiedlicher Fachbereiche unter Einbringung ihres Fachwissens und ihrer Kompetenzen konstruktiv zusammenarbeiten, um gemeinsame Lösungsansätze für ihr Projekt zu gestalten. Dabei wird der Themenbereich „Maßnahmen für Klimaschutz und -gerechtigkeit“ fokussiert. Beispiele für entsprechende Projekte können sein: Konzeption eines klimaneutralen Instituts, Analyse und Interpretation einer Messreihe zu Luftschadstoffen auf dem Campus oder die Organisation einer Podiumsdiskussion. Für einen weiterführenden Austausch wird den Studierenden zudem ein Netzwerk von Expert: innen und Institutionen aus Wissenschaft, Kultur, Wirtschaft und Politik bereitgestellt. Hierbei wird die Möglichkeit geschaffen, mit außeruniversitären Lernorten, Kommunen oder anderen staatlichen Stellen zusammenzuarbeiten, um so die Hochschule im Sinne ihrer „Third Mission“ zu öffnen. In den Projekten werden hypothetische Gedankenspiele vermieden. Stattdessen werden praktisch umsetzbare Aktivitäten anvisiert. Für längerfristige Projekte wird die Möglichkeit geschaffen, Arbeiten von vorangegangenen Teams an eine nachfolgende Projektgruppe weiterzureichen.
1.3 Ziele
Die Teilnehmenden des Zukunftsmoduls sollen zu unterschiedlichen Facetten einer Nachhaltigkeitskompetenz befähigt werden:
- Zukunftsfähiges, vorausschauendes Denken und Handeln, d. h. die Auswirkungen des eigenen Handelns auf die Welt zu verstehen und verantwortungsvolle Entscheidungen zu treffen
- Verständnis von aktuellen wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Herausforderungen und Diskursen • Perspektivwechsel zwischen verschiedenen Zieldimensionen
- Kritische Reflexion von Themen und kreatives Problemlösen
- Gestaltung kollaborativer Projekte unter Einbringung eigener Kompetenzen
- Entwicklung von Projektzielen und Zukunftsvisionen sowie die Kommunikation und Reflexion von Projektergebnissen
1.4 Strukturen und Zuständigkeiten
Beim Zukunftsmodul arbeiten verschiedenen Personengruppen zusammen. Das Projekt wird dabei folgendermaßen koordiniert: Das Projektteam bestehend aus Projektleiter, Projektkoordinator und Hilfskräften, organisiert die Lernangebote des Zukunftsmoduls und führt diese anschließend mit Studierenden durch. Der studentische Beirat und das DozierendenNetzwerk nehmen dabei eine beratende Rolle bei der Konzeption und der Durchführung ein. Zudem unterstützen sie bei der Bewerbung und Öffentlichkeitsarbeit des Projektes. Das Dozierenden-Netzwerk hat darüber hinaus noch die Aufgabe, die Projektgruppen des Seminars bei fachspezifischen Fragen mit ihrer Expertise beratend zu unterstützen. Die administrative Ebene, welche die Implementierung des Moduls in den Studiengängen betrifft, wird von der Koordinatorin des Nachhaltigkeitszertifikats verwaltet.
1.5 Ergebnisse
kurzfristige, zählbare Ergebnisse:
- Implementierung des Zukunftsmoduls in ca. 30 Studiengängen
- Ca. 1600 Anmeldungen für die Vorlesungsreihe (davon 800 Studierende und 700 Mitarbeiter: innen und Externe)
- Ca. 40 Mitglieder im Dozierenden-Netzwerk (davon 20 Professor: innen und Mitglieder aus der Hochschulleitung)
- 15 Mitglieder im studentischen Beirat
langfristige, gesellschaftliche Wirkung:
- Langfristige Verankerung in den curricularen Strukturen und Weiterführung des Projektes nach Förderungsende durch das Institut für Physik der Atmosphäre
- Etablierung von Studierendenprojekten, welche auch eine nachhaltige Entwicklung in den Bereichen Forschung, Transfer und Betrieb stärken
1.6 Grad der Verstetigung / festen Einbindung in die Hochschulstruktur
Das Zukunftsmodul ist darauf ausgelegt, langfristig in den curricularen Strukturen der Hochschule verankert zu werden. Momentan wird das Modul im Wahlpflichtbereich von über 30 Studiengängen bereits mit ECTS Punkten anerkannt. Die Studiengänge reichen von Physik über Theologie bis hin zur Musik. Bei weiteren Studiengängen ist eine Verankerung geplant. Zudem wird das Zukunftsmodul fester Bestandteil des für 2024 geplanten Nachhaltigkeitszertifikats der Universität Mainz. Auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass das Projekt auch über den Förderzeitraum hinaus bestehen bleibt. Die Besonderheit des erwähnten Zertifikates ist dadurch gegeben, dass es mit einem neuen, geplanten Mastermodell verknüpft werden soll, bei dem eine große Anzahl an Fachdisziplinen solche Zertifikate als festen Bestandteil des Studiengangs anerkennen.
1.7 Partizipationsform und -grad der Studierenden
Die Partizipation der Studierenden war von Anfang an ein wichtiger Bestandteil des Projektes. Die Studierenden, die das Zukunftsmodul ursprünglich initiiert haben, sind weiterhin fester Bestandteil des Projektes. So bekam der Hauptinitiator eine wissenschaftliche Mitarbeiterstelle als Projektkoordinator und die anderen Studierenden unterstützen als wissenschaftliche Hilfskräfte. Zudem wurde ein studentischer Beirat aus 15 Studierenden gegründet, der die Projektentwicklung beratend unterstützt und auf diese Weise immer wieder die Studierendenperspektive miteinbringt. Dabei wurde versucht, bei diesem Beirat alle Fachbereiche der Universität abzubilden und ihn so divers wie möglich zu gestalten.
2 Umsetzungsstrategie
2.1 Meilensteine
2.2 Rahmenbedingungen und Faktoren, die zum Erfolg des Good Practice beigetragen haben und / oder die Umsetzung erleichtert bzw. beschleunigt haben
Die Faktoren, die zum Erfolg des Zukunftsmoduls beigetragen haben, gehen vor allem auf einzelne Personen zurück. Auf der einen Seite gibt es die Studierenden, die das Projekt selbstständig initiiert und entwickelt haben. Nur durch deren unermüdliches Engagement konnte es zu einer Umsetzung des Projektes kommen. Auf der anderen Seite haben wir die Dozierenden, die im Prozess eine entscheidende Rolle gespielt haben. Diese haben das Projekt von Anfang beratend unterstützt. Neben deren Expertise war die finanzielle Unterstützung ein wichtiger Erfolgsfaktor. Auch hier haben einzelne Dozierende sowie das Gutenberg-Lehrkolleg einen substanziellen Beitrag geleistet.
2.3 Probleme und Herausforderungen bei der Umsetzung des Good Practice
Die Umsetzung des Zukunftsmoduls war mit einigen Herausforderungen verbunden. Zu Beginn der Initiative bestand die Herausforderung darin, Unterstützer: innen auf Seiten der Dozierenden zu finden. Durch persönliche Gespräche konnte diese erste Hürde schnell überwunden werden. Eine weitere Schwierigkeit stellte die Finanzierung des Projektes, vor allem die Finanzierung des Projektkoordinators, dar. Hierfür mussten über unterschiedliche Finanzierungstöpfe Gelder beantragt werden. Dabei wurde das Projekt zu Beginn mit einer Teilfinanzierung gestartet, um dieses zeitnah umzusetzen. Zudem führte die Implementierung des Zukunftsmoduls in die universitären Strukturen zu Problemen. Dies gestaltet sich vor allem schwierig, da es im Allgemeinen keinen überfachlichen Bereich gibt, in dem solche Veranstaltungen verankert werden können, sondern dies abhängig von jedem einzelnen Studiengang ist. Auf diese Weise muss das Modul so gestaltet werden, dass es sich in möglichst viele Studiengänge integrieren lässt. Hierfür wurde ein Baukastenprinzip entwickelt, sodass die einzelnen Bestandteile des Lernangebots besser an die Strukturen angepasst werden können. Dies kann aber nur geschehen, wenn auch das verantwortliche Institut ein Interesse daran hat, solchen Themen einen Platz im Studiengang zu geben.
2.4 Übertragbarkeit
Ein Ziel des Zukunftsmoduls ist es, dass auf Grundlage der wissenschaftlichen Begleitstudie allgemeine Leitlinien entwickelt werden, die eine Übertragbarkeit auf andere Hochschulen ermöglichen. Die Tatsache, dass das Modul mithilfe eines Baukastenprinzips den jeweiligen Bedingungen des Studiengangs angepasst werden kann, schafft eine gute Voraussetzung einer Übertragbarkeit auch auf andere Hochschulen. Diese Leitlinien sollen nach Abschluss der wissenschaftlichen Begleitstudie veröffentlicht werden.
3 Erfahrungsberichte
3.1 Erfahrungsberichte
„Das Zukunftsmodul rückt eines der wichtigsten Themen der nächsten Jahrzehnte ins Zentrum der Betrachtung. Da eine Auseinandersetzung mit den Folgen der Klimakrise und Ansätzen einer gesellschaftlichen Transformation nicht nur relevant, sondern sogar unabdingbar ist, führt an diesen Themen meines Erachtens kein Weg vorbei. „
Dr. Sandra Petermann, Akademische Oberrätin am Geographischen Institut, JGU
„Der Klimawandel gehört zu den drängendsten Problemen, mit der die Menschheit im laufenden Jahrhundert zu kämpfen hat. Ein Weg aus der Krise ist nur möglich, wenn die Mehrheit der Bevölkerung das grundlegende Problem versteht und dadurch bereit ist, die notwendigen Maßnahmen mitzutragen. An diesem zentralen Punkt setzt das Zukunftsmodul an: dieses möchte herausfinden, wie man dieses Ziel am besten erreicht. Ich kann mir in diesem Zusammenhang kaum etwas Wichtigeres vorstellen. „
Prof. Dr. Volkmar Wirth, Professor am Institut für
Physik der Atmosphäre, JGU
„Bei den Themen, die das Zukunftsmodul adressiert, handelt es sich um Querschnittsthemen, um die wirklich niemand herumkommt. Gerade Lehrerinnen und Lehrer brauchen Expertise, Motivation und eine fundierte Haltung dazu, weil sie entscheidenden Einfluss auf die nächste Generation haben. Die Auseinandersetzung mit dem Klimawandel und die Entwicklung von Handlungsoptionen sind komplexe Probleme, die heute schon auf alle zukommen und bleiben. Das sind Aufgaben für die Langstrecke und das Zukunftsmodul ist ein erster wichtiger Schritt. „
Prof. Dr. Margarete Imhof, Professorin am Psychologischen Institut, JGU
3.2 Kurzinterview mit Koordinator*in
Mein bewegendster / schönster Moment mit dem Good Practice:
Meine schönsten Momente sind, wenn Dozierende und Studierende vom Zukunftsmodul große Begeisterung zeigen und mich in meiner Arbeit bestärken. Dann merke ich immer wieder, wie wichtig es ist, was ich tue und dass es die richtige Entscheidung war, trotz anfänglicher hoher Hürden weiterzumachen.
Nachhaltigkeit ist für mich ein Herzensthema, weil …
es noch nicht zu spät ist, die Welt zu verändern und einen Teil zur gesellschaftlichen Transformation beizutragen. Wir leben in einer solchen privilegierten Welt, dass jeder sofort damit anfangen kann! Ein Bildungssystem, das Menschen zu Change Agents befähigt, spielt dabei eine Schlüsselrolle und kann als sozialer Kipppunkt einen großen Einfluss haben.
Mein Tipp für alle, die ein Nachhaltigkeitsprojekt starten wollen:
Es ist wichtig, sich Mitstreiter: innen auf Seiten der Dozierenden und Studierenden zu suchen. Am Anfang ist es meistens sehr schwierig, da ist es wichtig, nicht aufzugeben.
Meine Vision einer nachhaltigen Hochschule 2050:
Hochschulen haben 2050 einen wichtigen Beitrag zur gesellschaftlichen Transformation geleistet. Sie stehen für Orte, an denen sich interdisziplinär mit Zukunftsthemen auseinandergesetzt wird und die einen Raum für gesellschaftliche Reallabore bieten.
4 Blick in die Zukunft
Auch für die Zukunft sind unterschiedliche Maßnahmen geplant, mit denen das Zukunftsmodul erweitert werden soll. Neben der Entwicklung der didaktischen Leitlinien im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitstudie ist geplant, die Implementierung des Zukunftsmoduls an der Universität Mainz weiter zu verstetigen. So werden gerade in einigen Fachbereichen der Universität die nächsten Schritte zur curricularen Verankerung des Zukunftsmoduls größtenteils im Wahlpflichtbereich geplant und das Dozierenden-Netzwerk Stück für Stück ausgebaut. Auch soll ab Wintersemester 2024/25 der Zertifikatsstudiengang „Nachhaltige Entwicklung“ an den Start gehen, bei dem das Zukunftsmodul ein fester Pflichtbestandteil sein wird. Ein weiterer Schritt wird sein, dass auch die Hochschuldozierenden im Bereich Klimaund Nachhaltigkeitsbildung weitergebildet werden sollen. Dafür sollen im Rahmen des Zukunftsmoduls Fortbildungen, die sich speziell an Dozierenden richten, entwickelt werden.