netzwerk n

Ressourcen / Good Practice

gemueserausch Solidarische Landwirtschaft

Universität Vechta, Arche Wilhelminenhof

Inhalt

Kontext

Die Universität Vechta liegt zwischen Bremen und Osnabrück mitten im sogenannten » Schweinegürtel «. Dies ist die Region mit der höchsten Dichte an intensiver Schweinezucht – kurz Massentierhaltung – in ganz Deutschland. Im Gegensatz dazu setzt der Arche Wilhelminenhof seit ungefähr zehn Jahren verstärkt auf hohe ökologische Standards – mittlerweile Demeter-Zertifizierung –, Kreislaufwirtschaft – das Futter für die Tiere entstammt fast vollständig der eigenen Produktion – und Agroforstkultur. Letzteres ermöglicht durch sich gegenseitig fördernde Pflanzen- und Tiergesellschaften den Verzicht auf konventionelle und biologische Pflanzenschutzmittel. Weiterhin setzt der Hof sowohl bei Obst und Gemüse als auch bei den Tieren auf alte Sorten und Rassen. Dadurch werden einerseits alte Bestände erhalten, die in der sonst industrialisierten Landwirtschaft keinen Platz haben. Andererseits erlaubt die Robustheit dieser alten Sorten und Rassen den weitgehenden oder sogar kompletten Verzicht auf Pflanzenschutzmittel und Antibiotika.

Bereits seit einigen Jahrzehnten sehen sich viele landwirtschaftliche Betriebe in Deutschland und weltweit vor dem Scheideweg: Wachsen oder Weichen. Um diesem Dilemma zu entkommen, setzen immer mehr Betriebe auf eine spezielle Form des Direktvertriebs: der Solidarischen Landwirtschaft. Verbraucher*innen verpflichten sich für ein Jahr, einen monatlichen festen Beitrag zu zahlen (35 € pro Person und Monat) und erhalten dafür einen wöchentlichen Anteil an der Ernte. Dadurch sind die Höfe weniger abhängig von Preisschwankungen im (Groß-)Handel. Außerdem werden die Risiken durch die in Zukunft wohl immer häufiger auftretenden extremen Wetterlagen auf viele Schultern verteilt. Durch den Direktvertrieb über die solidarische Gemeinschaft können die Produkte günstiger als im klassischen Einzelhandel angeboten werden. Je nach Hof und Mitglied gibt es die Verpflichtung bzw. die Möglichkeit, einige Male im Jahr die Landwirt*innen tatkräftig zu unterstützen: sei es beim Pflanzen, Unkraut jäten oder Ernten.

Nachdem ich, Florian, im Jahr 2017 auf den Hof und die sich gerade etablierende Solidarische Landwirtschaft aufmerksam wurde, war mir klar, dass ich mitmachen möchte. Zusammen mit einem Kommilitonen fuhren wir jeden Freitag auf den Hof und holten unsere Gemüse-Kiste ab – je nach Saison gibt es auch Milch, Eier, Obst und Früchte. Nach eineinhalb Jahren musste ich meinen » Gemüse-Buddy « ersetzten, weil dieser zum Master wegzog. Auf eine Anzeige am digitalen schwarzen Brett meldeten sich gleich fünf Personen. Ab diesem Moment war mir klar, dass ich das Potential die ganze Zeit unterschätzt hatte. Innerhalb kürzester Zeit lernte ich Tim, einen weiteren Kommilitonen, kennen, den ich heute meinen besten Freund nennen darf. Zusammen fuhren wir fast wöchentlich mit Interessierten und Neu-Mitgliedern auf den Hof. Den Rest erledigten die Bauernhof-Idylle – die aber nicht über den harten Arbeitsalltag der Landwirtsfamilie hinwegtäuschen darf – samt (Baby-)Katzen, Hunden und freilaufenden Hühnern und Gänsen. Zusätzlich erhöhten wir die Bekanntheit des Projekts mit Ständen auf dem Campusfest und einem Uni-Flohmarkt, bei dem wir kostenlos einzelne Erdbeeren verteilten und Nummern für Hofführungen sammelten. Da die meisten Studierenden kein eigenes Auto besitzen, wurde schnell klar, dass es auf Dauer weder sinnvoll noch machbar sein wird, die Gemüsekisten jede Woche vom Hof abzuholen.

Daraus entstand die Idee, einen Naturkeller auf dem Campus zu bauen. Natur- oder Schwedenkeller waren in der Region jahrhundertelang eine Möglichkeit für gelebte Subsistenz (Selbsterhaltung). Eingelassen ca. 1 bis 1,5 Meter tief, mit Erde überschüttet und mit einem Lehmboden ausgestattet, hat es dort das ganze Jahr über, unabhängig von der Außentemperatur und ohne Energiezufuhr, zwischen 5 und 10°C. Also eine perfekte Möglichkeit, um Gemüse über die Jahreszeiten hinweg zu lagern und zu konservieren.

Da die Mühlen der Bürokratie sehr langsam mahlen und die Beantragung, Planung und der Bau eines solchen Naturkellers einige Zeit beanspruchen würde, machten wir uns auf die Suche nach einer Zwischenlösung. Die Landwirtin schlug vor, einen ausrangierten Anhänger zum mobilen Depot umzufunktionieren. Die Uni zeigte sich sehr kooperativ und erlaubt uns seit Juli 2019 jeden Montagabend zwischen 19 und 20 Uhr, den Parkplatz direkt auf dem Campus als mobile Ausgabestelle zu nutzen. Die Landwirtin steht in der Zeit persönlich für Fragen zur Verfügung, z.B. was man mit einer Haferwurzel kochen kann – chefkoch.de ist da überraschenderweise relativ ratlos …

Ziele

  • möglichst vielen Universitätsmitgliedern eine regionale, biologische und saisonale Ernährung ermöglichen
  • Verstetigung und nachhaltige Einbettung der Initiative und Kooperation mit dem Arche Wilhelminenhof in die Universität, durch a) den Aufbau langfristiger (digitaler) Strukturen, b) den Bau eines Naturkellers als physische Repräsentanz der Initiative und Kooperation und c) die Kontaktherstellung zwischen Studentenwerk Osnabrück und Arche Wilhelminenhof, um diesen u.U. als Lieferant für die Mensaverpflegung zu etablieren

Bezug zu Suffizienz

Obwohl vielen Menschen, zumindest implizit, bewusst ist, dass die Lebensmittel im Supermarkt um die Ecke nicht die nachhaltigsten sind – Pestizid-Einsatz, Transportwege, Verpackung etc. –, ist der Gang dahin ein fester Bestandteil des Alltags. Die Initiaitve gemueserausch ermöglicht es den Universitätsmitgliedern, sich eine niedrigschwellige, umweltfreundliche Handlungsalternative anzueignen. Das gelingt durch eine regionale, biologische und saisonale Ernährung über die solidarische Landwirtschaft sowie durch das Depot auf dem Campus, das leicht zugänglich ist.

Aufbau und Inhalt

Gestartet als Zwei-Personen-Initiative sind wir mittlerweile um zwei Personen gewachsen. Dank unserer regelmäßigen Präsenz auf verschiedenen Uni-Veranstaltungen verfügen wir über eine hohe Sichtbarkeit bei vielen Universitätsmitgliedern. Dadurch erhoffen wir uns, auch in Zukunft stets genügend Helfer*innen für die Mitgliederwerbung und das Depot in unseren Reihen zu haben.

Zur Werbung neuer Mitglieder hat sich das digitale schwarze Brett – bei uns auf stud.IP, mit Moodle vergleichbar – als zuverlässige Möglichkeit bewährt. Gleiches gilt für den Erdbeerstand oder den Stand mit anderen Erzeugnissen des Hofes auf dem Campusfest.

Wir verwalten die Mitglieder in einer simplen Online-Tabelle und haben damit auf dem Schirm, bei wem demnächst der Vertrag ausläuft. Dadurch können wir der Landwirtin konkret mitteilen, wie viele Menschen aktuell ihren Anteil beim Depot abholen. Das verschafft der Landwirtin die Möglichkeit, die Mengen gut abzuschätzen.

Für die Depotverwaltung bezahlen die Solawi-Mitglieder pro Vertrag einen Euro zusätzlich pro Monat. Das Geld wird teilweise als Spritgeld an die Landwirtin zurückgeführt. Zudem wurde davon ein Whiteboard angeschafft, auf dem der wöchentliche Anteil an Gemüse angeschrieben wird. Für den Sommer ist das Bereitstellen von Biertischen und -bänken sowie Snacks geplant. Die angenehme Atmosphäre soll die Mitglieder zu einem » Klön-Snack « (Ostfriesisch für » Unterhaltung «) einladen.

Ergebnisse

  • wöchentlich holen 60 Universitätsmitglieder ihren Anteil der Ernte direkt vom Campus ab
  • das Zukaufen im Supermarkt entfällt seitdem für viele Mitglieder
  • durch das Projekt werden jährlich über 30t CO2-Äquivalente eingespart; Berechnung: Umstellung von konventioneller zu regionaler Ernährung, Einsparungen durch gebündelte Lieferung der Lebensmittel an die Universität, unverpackte Lebensmittel
  • verändertes Bewusstsein über nachhaltiges Konsumverhalten, insbesondere durch Aufklärungsarbeit, z.B. durch regelmäßige Hofführungen
  • Einführung regionaler Produkte in universitären Veranstaltungen, dadurch langfristige Förderung von Kooperationen zwischen Universität und regionalen Produzent*innen

Verstetigung

Das Projekt ist durch die wöchentliche Ausgabe auf dem Campus präsent und in den Alltag vieler Universitätsmitglieder integriert. Es finden vielversprechende Gespräche über den Bau eines Naturkellers auf dem Campus statt. Der Naturkeller dient als zukünftige Lagerungs- und Verteilungsstätte. Für dieses Vorhaben initiierten wir die Gründung einer Arbeitsgruppe, die aus dem Liegenschaftsmanagement, dem Nachhaltigkeitsbeauftragten, einem Präsidiumsmitglied und Studierenden von gemueserausch besteht.

Studentische Partizipation

Die Initiative wird hauptsächlich von Studierenden organisiert. Sie übernehmen die wöchentliche Ausgabe der Ernte-Anteile, Hofführungen oder die Mitglieder-Werbung und -verwaltung.

Umsetzung

Einblicke

Ich muss in der Hauptsaison kaum noch für frisches Gemüse in den Supermarkt gehen.

Solawi-Mitglied

Seitdem ich Teil der Solawi bin, habe ich total viele neue Gemüsesorten kennengelernt.

Solawi-Mitglied

Zukunftsideen

Es gibt so viele Hochschulen mit kleinen bis mittelgroßen landwirtschaftlichen Betrieben in der Nähe, auch wenn das vielen gar nicht bewusst ist. Wir sind überzeugt, dass man sehr viele Studierende von der Idee der Solidarischen Landwirtschaft überzeugen und zum Mitmachen bewegen kann. Außerdem glauben wir, dass, wer einmal Teil einer Solidarischen Landwirtschaft war, auch künftig Teil einer sein möchte. Gerade auch deswegen haben solche Kooperationen ein enormes Langzeitpotential. Wir freuen uns, wenn wir direkt oder indirekt dazu beitragen, dass sich noch mehr Hochschulen Solawis anschließen oder Gründungen (mit-)initiieren. Außerdem hoffen wir, dass wir es mit der Bewerbung der Solawi und dem gestärkten Kontakt von Konsumentinnen zu Produzentinnen schaffen, den Blick auf die Stärken der regionalen Lebensmittelproduktion zu lenken.

Bisherige Erfolge

  • gemueserausch hat innerhalb von zehn Monaten 60 Menschen begeistern können
  • maßgeblicher Beitrag zur vollen Auslastung der Solidarischen Landwirtschaft des Arche Wilhelminenhofs