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Ressourcen / Good Practice

Digital Learning for Sustainable Development

Universität Tübingen

Inhalt

1 Kontext

1.1 Entstehungsgeschichte und Motivation

Die immensen Herausforderungen und Chancen einer nachhaltigen Entwicklung – von Biodiversitätsund Klimakrise über neue Formen des Wirtschaftens bis hin zu suffizienten Lebensweisen – sind allgegenwärtig. Wir am Kompetenzzentrum für Nachhaltige Entwicklung (KNE) der Universität Tübingen stellten uns die Frage, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung auch digital so gestaltet werden kann, dass diese Perspektiven für die Studierenden greifbar werden und sie selbst Wege und Möglichkeiten entdecken, aktiv zu werden. Der Bedarf an einer solchen englischsprachigen und online stattfindenden Einführungsveranstaltung ergibt sich aus der zunehmenden Internationalisierung der Studierenden und der Lehre. Mit dem deutschsprachigen Nachhaltigkeitszertifikat Studium Oecologicum besteht ein etabliertes Format, das nun bedarfsorientiert ergänzt werden soll, um Teilnehmende aus der Universität Tübingen, aber auch aus Partneruniversitäten ‚aus der Ferne‘ einbeziehen zu können.
Finanziell gefördert durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft BadenWürttemberg starteten wir Anfang 2021 mit dem Projekt „Digital Learning for Sustainable Development“ (DLSD), was eine fachlich abgesicherte Konzeption, Durchführung und wissenschaftliche Begleitung sowie Evaluation der modular aufgebauten digitalen Lernreise ermöglichte.

1.2 Inhalt und Beitrag zu Nachhaltigkeit & Hochschule

Die Lehrveranstaltung ist für Studierende konzipiert und spricht diese als „Change Agents“ für nachhaltige Entwicklung direkt an. Grundlagen schaffen und vielfältige Perspektiven auf das Leitbild der nachhaltigen Entwicklung sichtbar machen, darüber diskutieren und selbst ins Gestalten kommen: Das ist die Idee unserer Lehrveranstaltung. Sie ist im Bereich der Hochschullehre angesiedelt, findet in englischer Sprache statt und richtet sich an eine internationale Zielgruppe Studierender aus allen Disziplinen. Gemeinsam mit den Studierenden reisen wir digital durch die heterogene und komplexe Transformationslandschaft der nachhaltigen Entwicklung. Dabei setzen wir BNE in innovativer Weise in einem digitalen semester-begleitenden Format um, das Reflexion, Interaktion und Partizipation ermöglicht. Die Lernreise besteht aus unterschiedlichen Stationen: 4 Plenary Sessions (Dauer: 3h), 3 Group Sessions (Dauer 1 ½ h) sowie individuellen Selbstlernphasen; sie kann auch modularisiert gedacht und organisiert werden.
Zu Beginn liegt der Fokus darauf, die Studierenden an Bord zu holen, sich kennenzulernen, inhaltliche Grundlagen zu schaffen, in Austausch und Diskussion zu kommen. Uns besuchen Expert*innen aus Wissenschaft und Praxis, die ihre Perspektiven auf nachhaltige Entwicklung einbringen und mit den Studierenden ins Gespräch kommen. Dabei werden die Studierenden zunehmend selbst aktiv: ihre individuelle Lernreise dokumentieren und reflektieren sie in einem Research and Learning Diary, dass sie selbst gestalten können und das als Teil der Studienund Prüfungsleistung eingereicht wird. Die Studierenden haben den Raum, Gestaltungskompetenzen in den Bereichen Verstehen, Bewerten, Verändern und Handeln zu entwickeln. Unser Ziel ist eine Befähigung zu kritischem Denken und verant-wortungsbewussten Handeln.

1.3 Ziele

Kernziele:

  • Vermittlung von Grundlagenwissen zum Themenkomplex Nachhaltige Entwicklung; Unterschiedliche Perspektiven auf nachhaltige Entwicklung mit einbinden und sichtbar machen; Die Studierenden unterstützen, selbst aktiv zu werden und Handlungsoptionen auszuloten; Reflexionsprozesse anstoßen und die Studierenden darin begleiten, eine kritisch hinterfragende Haltung zu entwickeln.Gestaltungskompetenzen in den Bereichen Verstehen, Bewerten, Verändern und Handeln zu entwickeln. Unser Ziel ist eine Befähigung zu kritischem Denken und verant-wortungsbewussten Handeln.

Weitere Ziele:

  • Umsetzung einer ganzheitlichen BNE, die auch digital ein Lernen mit Kopf, Hand und Herz ermöglicht; Gemeinsames Lernen auf Augenhöhe mit Personen unterschiedlicher disziplinärer und geografischer Herkunft ermöglichen und stärken.

1.4 Strukturen und Zuständigkeiten

Vom Projektantrag bis hin zur Durchführung der Veranstaltung arbeiten wir gemeinsam in einem Team aus dem Kompetenzzentrum für Nachhaltige Entwicklung:
Prof. Dr. Thomas Potthast (seit Beginn 2021): Projektleitung und Moderation
(M.A.) Amelie Schönhaar (seit Beginn 2021): Projektkoordination, Konzeption und technische Begleitung des Kurses
(M.A.) Jasmin Goldhausen (seit Sommer 2021): Moderation und Unterstützung in der konzeptionellen Weiterentwicklung
B.Sc. Florian Kellner (seit Frühsommer 2021): Technische Konzeption, digitale und mediale Gestaltung
Mehrere weitere Studierende, u.a. Arno Schmidt und Julia Hofmann, brachten in allen Phasen des Projekts explizit die studentische Perspektive mit ein

1.5 Ergebnisse

kurzfristige, zählbare Ergebnisse:

Die Lehrveranstaltung wird aktuell (WiSe 22/23) zum dritten Mal durchgeführt. Bislang konnten wir mehr als 50 Studierende aus den unterschiedlichsten Disziplinen und acht Ländern (darunter Spanien, Ägypten, Italien, Bangladesch, Ukraine, Türkei) erreichen.

langfristige, gesellschaftliche Wirkung:

Die Studienleistung der Studierenden setzt sich neben aktiver Teilnahme und Literaturarbeit auch aus der Erarbeitung eines „SD-Good Practice Posters“ zu einem Projekt ihrer Wahl und einem begleitenden Lernund Forschungstagebuch zusammen. Unsere bisherigen Evaluationsergebnisse zeigen, dass die Studierenden vor allem die Postererarbeitung und die Gestaltung ihrer Lernund Forschungstagebücher als wertvolle Freiräume sehen. Freiräume, die es ihnen erlauben, ihren persönlichen Interessen nachzugehen und sich in kritisch reflektierter Art und Weise mit ihrem individuellen und disziplinären Bezug zur Thematik nachhaltige Entwicklung auseinanderzusetzen. Auch wurde sehr häufig rückgemeldet, dass vor allem die didaktische und methodische Vielfalt sehr gut an die Lebenswelt der Studierenden anknüpft und auch der Austausch auf Augenhöhe mit den externen Dozierenden aus Wissenschaft und Praxis einen transformativen Effekt auf die Lernprozesse der Studierenden hat.

1.6 Grad der Verstetigung / festen Einbindung in die Hochschulstruktur

Unsere Lehrveranstaltung ist im überfachlichen Bereich der Hochschullehre an der Universität Tübingen angesiedelt. Hier kam es in den letzten Jahren zu vielen strukturellen Veränderungen. Aktuell kann die Veranstaltung unter anderem als Grundlagenkurs im NE-Zertifikatsstudienprogramm Studium Oecologicum mit 3 Credit Points angerechnet werden. Nach der ersten Förderphase (01/2021 – 03/2022) durch das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg wird das Projekt und die Lehrveranstaltung aktuell über das Kompetenzzentrum für Nachhaltige Entwicklung finanziert.

1.7 Partizipationsform und -grad der Studierenden

Partizipation und Beteiligung der Studierenden steht bei uns ganz oben. Die Lehrveranstaltung soll den Studierenden einen Zugang zum Themenkomplex nachhaltige Entwicklung öffnen, der unmittelbar an ihrer Lebenswelt und soweit möglich auch an ihr Studium anknüpft. So sind bereits in der Konzeptionsphase des Projektes viele junge Menschen beteiligt gewesen, die teilweise „frisch“ aus dem Studium kamen bzw. zu diesem Zeitpunkt selbst noch studiert haben. In der Lehrveranstaltung selbst sind Partizipation und kollaborative Zusammenarbeit zentrale Elemente der gemeinsamen Lernreise. Darüber hinaus geben uns die Research and Learning Diaries der Studierenden nach Ende jeder Lernreise dezidiert Hinweise darauf, was besonders gut lief, insbesondere aber auch, worin die Studierenden Verbesserungspotenziale sehen. Diese Rückmeldungen fließen als Ergebnisse umfassender Evaluation in die fortlaufende konzeptionelle Weiterentwicklung des Formates ein.

2 Umsetzungsstrategie

2.1 Meilensteine

Im Sommersemester 2022 und Wintersemester 2022/23 konnte die Lehrveranstaltung „Basics of and new Perspectives on SD – a digital learning Journey“ wiederholt angeboten werden.

2.2 Rahmenbedingungen und Faktoren, die zum Erfolg des Good Practice beigetragen haben und / oder die Umsetzung erleichtert bzw. beschleunigt haben

Die umfangreiche Konzeption und erste Pilotierungsphase wurden finanziell gefördert aus Mitteln des Ministeriums für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg. Durch diese Förderung wurde es möglich, mit entsprechenden personellen und Sachmitteln eine umfangreiche und gleichermaßen fachlich sowie didaktisch und technisch hochwertige Lehrveranstaltung zu konzipieren und umzusetzen.
Zudem brachte das Team die notwendigen unterschiedlichen Kompetenzen hinsichtlich NE, BNE, Didaktik und Onlinetools zusammen. Die beiden weiteren Durchläufe (SoSe 2022 und WiSe 22/23) wurden aus Mitteln des Kompetenzzentrums für Nachhaltige Entwicklung (KNE) der Universität Tübingen übergangsweise weiter finanziert.

2.3 Probleme und Herausforderungen bei der Umsetzung des Good Practice

Für diese neue Lehrveranstaltung war die Erreichung einer zugleich neuen Zielgruppe nicht einfach, auch weil das Angebot quer zu bestehenden Angebotsformaten und -programmen steht. Die Vernetzung mit unterschiedlichen Aktivitäten im Bereich überfachliche Lehre, studentische Mobilität und universitärer Netzwerke bedarf einiger Abstimmungen.

2.4 Übertragbarkeit

Das von uns entwickelte Lehrformat ist problemlos für alle Fächer und Hochschulen transferierbar. Voraussetzung sind jedoch gute Englischkenntnisse und Fähigkeiten bzgl. der verwendeten digitalen Tools (in unserem Fall 1. Lernplattform ILIAS (o.ä.), 2. ein Videokonferenztool, 3. Collaboard – Online Whiteboard (o.ä.) und 4. idealerweise “Workadventure” oder eine andere digitale (Gaming-) Umgebung zur Umsetzung des digitalen Gallery Walks of Opportunities.

3 Erfahrungsberichte

3.1 Erfahrungsberichte

Im Folgenden wollen wir die Studierenden selbst zu Wort kommen lassen, in dem wir durch Zitate einige Einblicke in die Lernprozesse geben, die die Studierenden in ihren Lernund Forschungstagebüchern dokumentiert haben:

“In the first class, I had no idea about sustainable development, I never heard about SDGs before. Now I am happy to have participated because this course has enriched me as a person and I have learned a lot. Of course, I have still a lot to learn, but I find that everyone, no matter their field of study, should take this type of course.“

I started this course as an alternative to a specified ethics course in science. My expectations were to do theoretical classes on institutions and regulatory mechanisms of the scientific and research market. Instead I have found a course in which each class makes me change my vision of the world, which forces me to think and reflect “outside the box”. It has been a very interesting journey, full of new knowledge and points of view.”

“My highlight of today’s session was the Gallery Walk of opportunities. First of all: how cool is it to digitally connect on a platform that allows to see all the posters and exchange about them. I’m also amazed by the amount of ideas and the effort to get a project as this rolling. (…) These posters really filled me with hope and made a great impression.”

When it all started, I felt impressed by the course in general, especially with the ways of learning. In my hometown university, the lessons were completely different; just teachers talking about some topics and students listening to them. There was no feedback, no interest in how students were feeling while the lessons or even these interactive ways of expressing our thoughts from them.“

“I also learned a lot for myself personally and could imagine that I could go in this direction professionally. I really liked the fact that so many different guests from outside were invited, which is not what I would have expected from the course. (…) Thank you again for this very inspiring and interesting course!”

“Also my mentality has changed. In the first module I was talking about achieving a balance between human and earth, now I see that human and nature are not opposite, it is not a war, they are the same entity.“

3.2 Kurzinterview mit Koordinator*in

Mein bewegendster / schönster Moment mit dem Good Practice:
Das Lesen der Research and Learning Diaries sind für mich jedes Mal mein persönliches Highlight. Das digitale Format eröffnet uns viele Möglichkeiten, schafft aber gleichermaßen Distanz. Durch die Research and Learning Diaries wird individuell sehr deutlich, was die Studierenden für sich selbst mitnehmen. Aber auch, was sie uns auf unsere weitere Reise mitgeben können.
Nachhaltigkeit ist für mich ein Herzensthema, weil …
es das Potenzial hat, Menschen mit ganz unterschiedlichen Perspektiven und Hintergründen zusammenzubringen, auf Augenhöhe voneinander zu lernen, gemeinsam an großen Herausforderungen zu arbeiten und etwas zu bewegen.
Mein Tipp für alle, die ein Nachhaltigkeitsprojekt starten wollen:
Du bist erst dann gescheitert, wenn du aufgehört hast, es zu versuchen. Also einfach mal machen!
Meine Vision einer nachhaltigen Hochschule 2050:
Eine Kultur der Nachhaltigkeit hat die Institution im Sinne eines gesamtheitlichen Ansatzes selbst auf den Weg Richtung Nachhaltigkeit gebracht; die Bereiche Forschung, Lehre und Transfer arbeiten zusammen in der Bearbeitung konkreter Nachhaltigkeitsherausforderungen, sowohl konzeptionell-theoretisch als auch international vernetzt und nicht zuletzt praktisch vor Ort.

4 Blick in die Zukunft

Ein dauerhaftes Angebot dieses Formates ist noch nicht gesichert. Zudem wollen wir noch ausprobieren, ob das Format auch für sehr große Zahlen von Teilnehmenden (> 100 pro Kurs) funktionieren kann, bzw. wie es anzupassen ist.