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Hochschulen und nachhaltige Entwicklung

Welche Rolle spielen Hochschulen und das Wissenschaftssystem in der sozial-ökologischen Transformation? Der Text gibt einen ersten Überblick über verschiedene Aspekte von Hochschulen innerhalb einer nachhaltigen Entwicklung.

Inhalt

Einleitung

Wissenschafterler:innen warnen bereits seit Jahrzehnten vor dem Überschreiten der sogenannten planetaren Grenzen (Klima, Artenvielfalt, Stoffkreisläufe…), was die Stabilität der Ökosysteme sowie unsere Lebensgrundlagen als Menschheit gefährdet. Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen plädiert in seinem Gutachten „Welt im Wandel“ aus dem Jahr 2011 für eine schnelle weltweite Transformation hin zu einer klimaverträglichen Gesellschaft. Wir stehen als gesamte Menschheit vor der Aufgabe, notwendige allumfassende Veränderungen hin zu nachhaltigen Praktiken des alltäglichen Wirtschaftens und (Über-)Lebens einzuführen. Solche Veränderungen beginnen häufig im privaten Bereich mit individuellen Konsumentscheidungen – aber das reicht nicht aus. 

Das Thema hat vor allem durch die von Greta Thunberg 2018 angestoßene Fridays for Future Bewegung neue mediale Aufmerksamkeit erlangt. Weitere Bewegungen, wie die aus Großbritannien stammende Extinction Rebellion, bemühen sich, die ökologischen Krisen in den Mainstream zu rücken und die Regierungen zu mutigerem Handeln zu bewegen. Auf politischer und globaler Ebene gibt es bereits umfassende Bekenntnisse zu einer nachhaltigen Entwicklung, die bis 2030 zu ökologischer, sozialer und wirtschaftlicher Nachhaltigkeit gleichermaßen führen sollen. Diese Pläne übersetzen sich in nationale Strategien, die wiederum in föderale und kommunale Strategien aufgegliedert werden. Innerhalb der Gesellschaft und den staatlichen Institutionen sind diese Vorhaben allerdings noch nicht flächendeckend in Prozesse und Strukturen übersetzt worden. Das Ausmaß der ökologischen Krisen und die bestehende Gefährdung des Überlebens der Menschheit allerdings verlangen sofortiges, mutiges, gar radikales Handeln aller Akteure. 

Für eine umfassende Implementierung nachhaltiger Praktiken sowie dem Aufbrechen alter Strukturen sind Veränderungen auch im Wahrnehmen und Denken der Gesellschaft notwendig. Damit kritisches Reflektieren von alltäglichem Handeln möglich wird, benötigen wir Bildung, die uns dazu befähigt. Hochschulen sollten vor diesem Hintergrund ihre Rolle innerhalb der Gesellschaft als Institutionen, die Wissen generieren sowie Menschen heranbilden, kontextualisieren und auf ihre Zukunftsfähigkeit überprüfen. Das Konzept einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, die sich auf Persönlichkeitsentwicklung und die Befähigung zum Handeln konzentriert, spielt hier eine besondere Rolle. 

Transformative Wissenschaft

Forschung und Wissenschaft haben eine gesellschaftliche Verantwortung, aktiv zum Gelingen der Transformation zu einer klimaverträglichen Gesellschaft beizutragen.

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen (2011): Welt im Wandel – Gesellschaftsvertrag für eine Große Transformation, Berlin, S. 341 

In der Transformation zu einer nachhaltigen Gesellschaft spielen Wissenschaft und Bildung eine besondere Schlüsselrolle. Die Erkenntnisse über die ökologischen Krisen sowie den notwendigen Wandel sind wissenschaftlich begründet. Um diese auch weitreichend in der Gesellschaft zu verankern ist Bildung erforderlich. Das Wissenschaftssystem umfasst wissenschaftliche Institutionen (Hochschulen, Forschungseinrichtungen usw.), wissenschaftliche Förderorganisationen und wissenschaftspolitisch tätige Instanzen (Wissenschaftsministerien auf Bundes-und Länderebene, Wissenschaftsausschüsse oder Parlamente). Die Aufgaben des Wissenschaftssystems in der Transformation umfassen: Die Entwicklung von technologischen Innovationen, die klimaverträgliche Alternativen darstellen; Entwicklung von sozialen Innovationen, um Handlungsmuster in der Gesellschaft zu verändern und neue Technologien zu verankern; Bildung für alle Bereiche und Lebensalter, um Problembewusstsein zu entwickeln und Handlungen in Richtung Nachhaltigkeit anzustoßen.

Eine Analyse des deutschen Wissenschaftssystems in Bezug auf die Herausforderungen der sozial-ökologischen Transformation bietet das 2013 erstmals erschienene Buch „Transformative Wissenschaft – Klimawandel im deutschen Wissenschafts- und Hochschulsystem“ von Uwe Schneidewind und Mandy Singer-Brodowski. Hier wird zunächst beschrieben, dass das Wissenschaftssystem lange als Treiber von Fortschritt gedient hat. Allerdings sind in Folge der technologischen Entwicklungen zahlreiche Nebenfolgen bewirkt worden, mit denen sich die Gesellschaft nun auseinandersetzen muss (ökologische Krisen beispielsweise). Schneidewind stellt das System auf den Prüfstand und wirft die Frage auf, ob es den aktuellen Herausforderungen gerecht wird. Er kritisiert die starke Verschränkung mit der Wirtschaft, während zivilgesellschaftliche Positionen zum Teil unzureichend einbezogen werden. Gleichzeitig beschreiben die Autor*innen das Dilemma des Wissenschaftssystems, welches zu großen Teilen aus öffentlichen Mitteln finanziert wird, aber kaum gesteuert werden kann aufgrund der bestehenden Forschungs- und Wissenschaftsfreiheit. Sie beschreiben das Konzept einer „transformativen Wissenschaft“, die sich den Herausforderungen der Transformation stellt. 

Sie beziehen sich hier auf die vom WBGU 2011 geprägte Definition einer transformativen Forschung. Transformative Wissenschaft unterstütze Transformationsprozesse „konkret durch die Entwicklung von Lösungen sowie technischen und sozialen Innovationen”, dies schließe Verbreitungsprozesse in Wirtschaft und Gesellschaft sowie die Möglichkeiten zu deren Beschleunigung ein. Diese Form von Wissenschaft erfordere systemische Betrachtungsweisen sowie inter- und transdisziplinäre Vorgehensweisen, beispielsweise durch den Einbezug von Betroffenen.

Eine solche transformative Wissenschaft erfordere den Umbau des Wissenschaftssystems. Schneidewind nennt vier grundlegende Muster der Erneuerung: 1. Aufschichtung (Schaffung neuer Institutionen und Programme), 2. Verdrängung (Aufbau neuer Strukturen mit Rückbau bisheriger), 3. Umwandlung (Transformation in bestehenden Strukturen), 4. Auflösung (Abbau überkommener Strukturen). Diese Muster beschreiben den „konkreten politischen Handlungsraum für Veränderungen im Wissenschaftssystem“. Dieser Umbau wird erschwert durch die geringen Einflussmöglichkeiten politischer Lenkung auf Bundes- und Länderebene. Zusätzlich haben sich die Strukturen im Wissenschaftssystem in der Vergangenheit als „äußerst robust“ erwiesen. Nischen-Akteure, die Neuerungen innerhalb dieser Strukturen erproben und mutige Experimente versuchen, werden zu zentralen Antreibern für Transformationsprozesse. Eine wichtige Rolle spielen hier die sogenannten „Change Agents“, zu Deutsch auch Pioniere des Wandels genannt. Dies sind einzelne Personen oder kleine Gruppen, die Veränderungsprozesse initiieren und gestalten. Schneidewind nennt hier beispielhaft die organisierte Zivilgesellschaft, Stiftungen, innovative Politiken auf Bundeslandebene sowie Pilothochschulen und –forschungsinstitute. 

Bildung für nachhaltige Entwicklung

In den UN-Konferenzen rund um Nachhaltige Entwicklung wird seit 1992 die Rolle von Bildung stärker hervorgehoben. 2002 wurde die Weltdekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2005-2014) ausgerufen. Alle Mitgliedsstaaten verpflichten sich demnach, das Leitbild der Nachhaltigen Entwicklung in allen Bereichen der Bildung zu verankern. Im Anschluss folgte 2015-2019 das UNESCO-Weltaktionsprogramm Bildung für nachhaltige Entwicklung. In den Nachhaltigkeitszielen (SDGs) wird das Thema mit dem 4. Ziel, Bildung, aufgegriffen. Dort geht es zunächst um den Zugang zu Bildung („Quality Education – Ensure inclusive and equitable quality education and promote lifelong learning opportunities for all”). Im Unterziel 4.7. geht es direkt um das Konzept der Bildung für Nachhaltige Entwicklung. Dort heißt es: „Bis 2030 sicherstellen, dass alle Lernenden die notwendigen Kenntnisse und Qualifikationen zur Förderung nachhaltiger Entwicklung erwerben, unter anderem durch Bildung für nachhaltige Entwicklung und nachhaltige Lebensweisen, Menschenrechte, Geschlechtergleichstellung, eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit, Weltbürgerschaft und die Wertschätzung kultureller Vielfalt und des Beitrags der Kultur zu nachhaltiger Entwicklung“. Für die Umsetzung dieser Ziele gibt in Deutschland der Nationale Aktionsplan zur Bildung für nachhaltige Entwicklung konkrete Ziele und Maßnahmen in den Bereichen Frühkindliche Bildung, Schule, Berufliche Bildung, Hochschulen, Non-formales und informelles Lernen/Jugend und Kommunen vor. 

Der Begriff der Bildung für Nachhaltige Entwicklung (kurz BNE) bezieht sich auf Kompetenzen. Es geht also nicht um konkrete Inhalte, mit denen sich die Lernenden auseinandersetzen sollen, sondern welche Problemlösungsstrategien sowie Handlungskonzepte und –fähigkeiten sie anwenden können. Sie sollen Zukunft als gestaltbar ansehen und Menschen zum reflektierten Handeln befähigen. Die Lernenden sollen Wissen über nachhaltige Entwicklung anwenden, Problembewusstsein entwickeln und anschließend Schlussfolgerungen über die notwendigen Handlungen ziehen. Sie sollen sich individuell sowie innerhalb von Gruppen einbringen können, um mit den Problemen der Gegenwart aktiv umzugehen und Handeln anzustoßen. Im Hoch-N-Leitfaden zur Hochschullehre heißt es hierzu: „BNE bedeutet also das „empowerment“ (die Förderung der Befähigung) als Agent*in des Wandels (‘change agent’) an der Transformation zu sozial gerechteren und ökologisch integren Gesellschaften“. Unterricht im Sinne von BNE unterscheidet sich von disziplinärem Unterricht, überschreitet fachliche Grenzen und fokussiert sich auf Fähigkeiten, die die Lernenden befähigen, Gesellschaft mitzugestalten. Lehrformate in diesem Sinne sind (an Hochschulen) beispielsweise interdisziplinäre Vortragsreihen, Lernteam-Coaching, Service Learning, Blended Learning, Nachhaltige Entwicklungs-Veranstaltungen von Studierenden für Studierende, Mitwirkung an Forschungsprojekten sowie Nachhaltigkeitswochen und –semester.

Die Rolle von Hochschulen

Hochschulen spielen auf dem Weg in eine nachhaltige Zukunft eine besondere Rolle. Sie tragen als Bildungsinstitutionen einen wesentlichen Beitrag zur Prägung junger Menschen, die als zukünftige Führungspersönlichkeiten sowie Multiplikator*innen in die Gesellschaft hineinwirken. 2018 gingen 52,1% eines Jahrgangs als Studienanfänger*innen an eine Hochschule in Deutschland. Dementsprechend wird über die Hälfte eines Jahrgangs an den Hochschulen ausgebildet und auf die unmittelbare Zukunft vorbereitet. Hier können die Weichen für eine sozial-ökologische Transformation gestellt werden. 

Als Landeseinrichtungen und öffentlich finanzierte Institutionen mit zahlreichen Liegenschaften tragen sie auch eine gesellschaftliche Verantwortung, zukunftsgerecht mit Ressourcen wie Geld, Personal, aber auch Energie und Materialien umzugehen. An den Hochschulen lassen sich fünf Bereiche systematisch auf ihren Beitrag zur Nachhaltigkeit untersuchen: das sind Governance, Betrieb, Forschung, Lehre und Transfer. Die Bandbreite der Bereiche zeigt, dass Nachhaltigkeit als Querschnittsthema an den Hochschulen in viele Strukturen hineinwirkt. Generell wird bei der Verankerung von Nachhaltigkeit an Hochschulen ein whole-institution-approach empfohlen, der den Einbezug aller Bereiche im Blick behält. 

Zahlreiche Akteure haben die Bedeutung der Hochschulen im Zusammenhang mit der sozial-ökologischen Transformation hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft bereits herausgestellt und Bemühungen angestrengt. Zu nennen sind in diesem Kontext beispielsweise das vom BMBF geförderte Hoch-N Verbundprojekt, welches die Implementierung von Nachhaltigkeit in den Hochschulen erforscht. Es ist Teil des fünfjährigen Weltaktions-programm „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ der Vereinten Nationen (2015-2019), zu dem sich auch Deutschland mit dem Nationalen Aktionsplan Bildung für nachhaltige Entwicklung bekennt. Zentrale Bestandteile des Projekts sind die Vernetzung nachhaltiger Hochschulakteure sowie die Erstellung von Leitfäden in verschiedenen Handlungsfeldern (Lehre, Betrieb, etc.). In ihrem hochschulspezifischen Nachhaltigkeitsverständnis heben sie die Bedeutung der Hochschulen innerhalb der Transformation hervor: „Es kann davon ausgegangen werden, dass den Hochschulen aufgrund ihrer ethischen und mithin gesellschaftspolitischen Verantwortung eine undelegierbare Reflexionsaufgabe und Impulsfunktion für eine solche gesellschaftliche Transformation hin zu mehr Nachhaltigkeit zukommt. […] Es geht darum, wie tragfähige Lösungen zum Umgang mit den großen Herausforderungen unserer Zeit global, national und regional gefunden, umgesetzt und dauerhaft institutionell implementiert werden können“. Nach Projektende 2020 wird das Netzwerk in die „Deutsche Gesellschaft für Nachhaltigkeit an Hochschulen“ (DG HochN) als Verein überführt. 

Auch die Hochschulrektorenkonferenz (HRK) hat sich 2018 in ihrem Empfehlungsschreiben „Für eine Kultur der Nachhaltigkeit“ für ebendiese stark gemacht. Dort schreibt sie beispielsweise: „[Nachhaltige Entwicklung] sollte Bestandteil grundlegender Positionierungen der Hochschulen (Grundordnung, Strategiepapiere, Mission Statement), bei der Ausgestaltung der Governance berücksichtigt werden sowie Gegenstand ihrer regelmäßigen Berichterstattung sein“. Damit hat sich die Vertretung der Hochschulen auch schon auf einen stärkeren Bezug auf das Thema Nachhaltigkeit eingelassen. 

Bundesweit agieren zahlreiche studentische Initiativen an den Hochschulen, die sich für mehr Nachhaltigkeit einsetzen. Gebündelt und unterstützt werden sie vom netzwerk n e.V., welches studentische Nachhaltigkeitsinitiativen stärkt und Prozesse des Wandels begleitet. Europaweit besteht die Green Office Movement sowie international die Students Organizing For Sustainability. 

Einige Hochschulen haben sich bereits aktiv mit Nachhaltigkeit und nachhaltiger Entwicklung auseinandergesetzt, verfassen beispielsweise Nachhaltigkeitsberichte und implementieren BNE in ihre Lehre. Allerdings sind diese eher als Leuchttürme einer nachhaltigen Hochschullandschaft zu sehen. Eine flächendeckende Umsetzung der schriftlichen Bekenntnisse ist bisher nicht zu erkennen.